Bewerbungsschreiben - zu schwer für deutsche Azubis und Studenten?
Kritische Anmerkung zur Zukunft unseres Bildungssystems

Die deutsche Bundesbahn verzichtet neuerdings darauf, dass Bewerber/inen für Lehrstellen oder duales Studium ihrer Bewerbung ein Anschreiben anfügen müssen. Dies sei nach ihren Erfahrungen für Bewerber eine zu große Hürde. Und der Anstieg der Bewerberzahlen gibt ihr recht.

Nun kann man ja über Sinn und Unsinn dieser Anschreiben geteilter Meinung sein. Aber dass angehenden Azubis und Studenten nach mindestens 10 Jahren in unserem Schulsystem nicht in der Lage sind, ein ein- oder zweiseitiges Anschreiben an ihren Ausbildungsbetrieb zu formulieren, ist ein Armutszeugnis und mehr als erschreckend. Und dies, obwohl gerade Haupt- und Realschulen einen immensen Aufwand betreiben, um ihren Schülern das Rüstzeug für Bewerbungen an die Hand zu geben, von diversen Bewerbertrainings der Bundesagentur und anderen Anbietern ganz abgesehen.

Es deutet also alles darauf hin, dass ein nicht erheblicher Teil unserer Schulabgänger nach 10 oder 13 Jahren nicht einmal in der Lage ist, einen Brief zu verfassen.

Dies deckt sich mit den Klagen vieler Betriebe, dass ihre Bewerber nicht einmal mehr über die minimalsten Deutsch- und Mathe-Kenntnisse verfügen.

Viele Betriebe machen schon innerbetriebliche Schulungen oder geben Nachhilfe, um ihren Azubs minimalste Kenntnisse beizubringen, die im Beruf erforderlich sind.

Und da reden wir noch lange nicht über Engagement, Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Präsentationsfähigkeit, digitale Kompetenzen usw., nur über banalste Kulturfertigkeiten.

Die Nürnberger Fakultät für Lehrerausbildung bietet für ihre Studienanfänger inzwischen bereits Rechtschreibkurse an, damit die Hausarbeiten korrigierbarer werden und die Studis später in ihren Grund- und Hauptschulen ihren Schülern überhaupt ein wenig Rechtschreibkenntnisse beibringen können, die sie selbst offenbar nicht mehr haben. Die meisten Referate und Hausarbeiten strotzen vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern und sind vielfach überhaupt nicht mehr verständlich.

Deutschland, das Land der Dichter und Denker? Sind wir jetzt auf das Niveau der Nachmittagssendungen im Privatfernsehen abgerutscht?

Es sieht fast so aus.

Und eine Besserung ist nicht in Sicht.

Als ich mich neben eine EQJ-Schülerin gesetzt und versucht habe, ihr ein wenig Grundrechnen beizubringen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ihr Problem nicht Excel war, sondern dass sie trotz erfolgreichem Hauptschulabschluss überhaupt nicht rechnen konnte, ist sie ab dem Folgetermin die nächsten Monate der Schule ferngeblieben. Mitteilungen an die Bundesagentur für Arbeit führten zu keinerlei Reaktion. Die Schülerin hat trotzdem ihr Geld bis zum Ende erhalten. Laut telefonischer Aussage des BA-Mitarbeiters wolle man die Betriebe nicht irritieren und belästigen, um ihre Ausbildungsbereitschaft zu erhalten. 

Ich fürchte fast, dass unser ganzes pädgogisches Gerede, die Aufwertung der Bildung in der politischen Öffentlichkeit und die vielen Milliarden für Smartboards an diesem negativen Trend im "Bildungs-Output" nicht viel ändern werden. 

© copyright, Verfasser und Pressespiegel