Die „nationale Bildungsplattform“ – ein Milliardengrab!
 

Im Juni 2020 fand der vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung ausgeschriebene deutschlandweite "Hackathon #wirfuerschule" statt. Über 6.000 Leute nahmen teil. Es sollten auf dem Hintergrund der Corona-Krise Konzepte für eine digitale Schule und eine Schule der Zukunft gefunden werden. Das Ganze wurde dann noch einen Monat später durch ein deutschlandweites digitales Barcamp vertieft.

Die Arbeitsgruppen entwickelten tatsächlich auch zahlreiche gute Ideen, und dies in nur wenigen Tagen. Viele der Vorschläge gingen in die gleiche Richtung: Konzepte für hybriden Unterricht, Wege zu einer pädagogisch sinnvollen Digitalisierung der Schulen, Onlinehilfen für Lehrkräfte,  Hilfen bei der Digitalisierung der Schulen, Unterstützung beim Einsatz digitaler Tools, fertige Unterrichtsmodule und –materialien, Online-Module zum Selbstlernen für Schüler, institutionalisierte Fortbildung für Lehrkräfte usw.

Es wäre der Regierung ein leichtes gewesen, die Vorschläge aufzugreifen, zu bündeln, fortzuentwickeln und umzusetzen. Dafür wären nur einige pädagogische Expertenteams und professionelle IT-Unterstützung erforderlich gewesen. Mit relativ wenigen Mitteln hätte man daraus einige Online-Plattformen entwickeln können, die in Schulen eine IT-Basisausstattung implementieren, die online und lokal Support leisten, die didaktische und methodische Konzepte für alle Schulformen und Jahrgangsstufen zur Verfügung stellen, die Lehrern bei akuten digitalen Problemen helfen, die Mikrofortbildungen ins Netz stellen, die Wissensplattformen und Unterrichtsplattformen organisieren usw.

Dies wäre sicherlich mit einigen Millionen Euro realisierbar gewesen. Und wir wären den vollmundigen Zielsetzungen der Bildungsministerin und der Digitalbeauftragten der Bundesregierung ein ganzen Stück näher gekommen.

Dies wurde aber nicht gemacht. Stattdessen sollten die Hackathongruppen ihre Vorschläge selbst umsetzen. Welche ein Witz! Da sollten also vier, sechs oder zehn Leute, die voll im Beruf stehen, schnell mal nebenbei am Abend und in ihrer Freizeit deutschlandweite Lehrerplattformen, Schul- und Unterrichtsplattformen hochziehen und dauerhaft betreiben. Dass das nicht funktionieren kann, muss man eigentlich niemandem erklären.

Das Ganze war natürlich zum Scheitern verurteilt. Aus den vielleicht 170 Vorschlägen kamen lediglich etwa sechs kleine private Start-Ups zustande, die pädagogische Nischenbereiche abdecken und vermutlich nicht mit Gewinn arbeiten.

Stattdessen wendet das Bildungsministerium nun 630 Millionen Euro auf, um IT-Firmen eine völlig sinnlose und abgehobene Meta-Plattform konstruieren zu lassen, die alle bisherigen Bildungsangebote umfassen soll.

Diese geplante „nationale Bildungsplattform“ hat für keinerlei erkennbaren Mehrwert für Schulen, Lehrer und Unterricht. Was soll mir als Lehrer oder Schulleiter oder Schüler eine allumfassende Riesenplattform nützen, die mich dann zu den mir schon bekannten Netzinhalten und Tools führt bzw. mich zum Bayerischen oder Niedersächsischen Bildungsserver leitet, welche ich dann aber ohne Genehmigung des jeweiligen Kultusministeriums als interessierter Schulleiter, Lehrer oder Fortbildner überhaupt nicht nutzen kann? In Bayern z.B. bekommt man nur Zugang zu Mebis, wenn man aktiver Lehrer an einer staatlichen oder städtischen Schule in Bayern ist. In den anderen Bundesländern ist dies ähnlich. Was soll mir zudem eine Plattform nützen, die nur sammelt und verlinkt, aber keine digitalen Unterrichtskonzepte, Unterrichtsmodule und oder sonstige IT-Lösungen und -Unterstützungen für alle Schulen in Deutschland beinhaltet? Es wird vor allem eine Plattform für kommerzielle Bildungsanbieter, ein Schaufenster für Unternehmen wie etwa die Bildungsmesse. Aber dafür eine halbe Milliarde Euro ausgeben?

Und die angedachten zusätzlichen Features sind genauso sinnlos, überflüssig und vermutlich nur von irgendwelchen IT-lern oder pädagogischen Laien ausgedacht:

  • Jeder Schüler in Deutschland soll ein lebenslanges Laufwerk bekommen, in dem er alles abspeichern kann. Klingt vielleicht für einen Laien ganz sinnvoll. Wenn ich aber nur ansehe, was unsere Schüler in zwei oder drei Jahren in unserem schulischen Intranet an Datenschrott abspeichern, dann kann man sich ausmalen, wie ein solches Schülerverzeichnis nach 9, 13 oder 20 Jahren aussieht. Außerdem widersprechen solche individuellen Speicherräumen genau dem, was wir mit Digitalisierung eigentlich wollen: ein gemeinsames Arbeiten der Schüler an gemeinsamen Lernprodukten. Dazu brauche ich gemeinsame Netzlaufwerke, aber keine geheimen virtuellen Kämmerchen.

  • Jeder Schüler soll auf der Plattform sämtliche Zeugnisse speichern können. Kann man machen, aber einen echten Mehrwert hat auch dies nicht. Es gibt Scanner und Kopierer. Kein Schüler hat bislang nach einem virtuellen Zeugnis gefragt. Und die Vorstellung, dass jemand, der sein analoges Zeugnis verliert oder nach zehn Jahren nicht mehr findet, nach so vielen Jahren und nach achtmaligem Handywechsel noch sein Passwort und alles sorgfältig abgespeichert und nichts gelöscht hat, ist doch etwas lebensfremd und naiv. Ganz zu schweigen von der Datensicherheit. Kann ich die Zeugnisse dann einfach auf mein neues Handy und den PC kopieren? Von wem bekomme ich die digitalen Zeugnisse den überhaupt? Und wann? Und wie ist es mit dem nachträglichen Ändern einer falschen Note oder dem Eintrag einer fehlenden Bemerkung? Brauchen wir dann eine zentrale Speicherung oder ist das Original-Zeugnis dann nur auf meinem Handy? Wo und wie bekomme ich ein neues Passwort? Man sieht, auch dieses Feature ist kein wirklicher Fortschritt oder Mehrwert, sondern schafft nur eine ganze Reihe von Problemen.

Das heißt also im Endeffekt, dass man mehr als eine halbe Milliarde Euro (und letztlich vielleicht noch mehr???) für eine völlig sinnlose Anwendung zum Fenster hinauswirft, um eine digitale Schulpolitik vorzutäuschen. Man kann sich dann in den Ministerien auf die Schultern klopfen, was man tolles geschaffen hat. Aber nützen wird dies keiner Schule, keinem Lehrer, keinem Schüler.

Dies ist nicht nur kein digitaler Fortschritt, sondern ein Rückschritt, weil es allen an digitaler Bildung Interessierten und Ambitionierten auch noch die letzte Hoffnung raubt, dass sich etwas zum Besseren ändern wird.

Wieder einmal hat die Politik also nichts kapiert.

Wieder einmal entscheiden Leute, die mit der pädagogischen Praxis nichts zu tun haben und die nicht wirklich daran interessiert sind, auch wenn sie noch so hochtrabend daherreden.

 

Lehr- und Lernplattform, © copyright, Verfasser und Pressespiegel