Sprachlos in Deutschland – zur Realität digitaler Lehreraus- und -fortbildung
Eine kritische Anmerkung

 

 

 Schreibe gerade Online-Module zur digitalen Bildung im Bereich Berufsorientierung für die Lehrerfortbildung in einem Bundesland (eher nördlich als südlich). Bei den Reaktionen auf meine Unterrichtsvorschläge fühlt man sich um 30 Jahre zurückversetzt, als die ersten Computer an Schulen auftauchten:

- Auf einem Arbeitsblatt darf nicht mehr als ein einziger Link stehen! Mehrere Links würden Lehrer und Schüler überfordern!!!

- Aufgaben dürfen niemals ergebnisoffen sein, sonst kann sie der Lehrer ja nicht überprüfen!!!

- Medien (z.B. TicToc), die das Fortbildungsinstitut des Bundeslandes nicht hat, darf man nicht verwenden, weil sie es sonst nicht überprüfen können!!!

- Unternehmensseiten darf man niemals verwenden, da weiß man ja, was drauf ist!!! - Der Lehrer sollte keine Recherchen zulassen, bei denen Internetseiten aufgerufen werden, die er nicht vorher geprüft.

- Als Internetseiten dürfen grundsätzlich nur solche verwenden, die auf dem eigenen Landesbildungsserver oder den Websites einer Bundes- oder Landesregierung liegen.

 Usw. usf.

Und das ist jetzt die Stellungnahme eines Fortbildungsinstituts!!! Da kann man nur Schreikrämpfe bekommen.

Wir reden dauernd über entdeckendes Forschen und Lernen, über Schule als Rahmen und Dienstleister für selbstbestimmte Lernprozesse der Schüler... Jeder Schulleiter, jeder Politiker und die gesamte Öffentlichkeit fordert von den Schulen die Vermittlung von mehr Medienkompetenz. Angesichts der Realität ist dies ein Witz!!!

Wie sollen die Schüler Medienkompetenz erwerben, wenn sie nur die Seiten aufrufen dürfen, die der Lehrer vorher ausgesucht hat? Wie sollen wir mit den Schülern ins Gespräch kommen, wenn die Lehrer nur die Programme verwenden und Internetseiten besuchen dürfen, die das Ministerium genehmigt hat?

Solange die Verantwortlichen in den Ministerien, Schulverwaltungen und Schulleitungen nur schöngeistig über Digitalisierung reden, faktisch aber keine Ahnung haben und in ihrer Ignoranz und Angst alle offenen, selbstbestimmten, konstruktivistischen und kollaborativen Lernszenarien verunmöglichen, bleibt alles, was wir auf unseren vielen Videokonferenzen besprechen und entwerfen, bloße Makulatur.

Frustrierend.

Nach solchen Erlebnisse verlieren selbst die motiviertesten und ambitioniertesten Kollegen und Kolleginnen schlichtweg die Lust, sich weiter für eine vernünftige und mehrwerthaltige Digitalisierung von Schule und Unterricht einzusetzen.

Nürnberg, 14.02.2022 

Peter Kührt


Zum Vergleich: Schöne Sprüche von Schulleiter/innen:

  • "Mein Job ist es nicht Schüler zu steuern, ich befähige sie dazu von dem Lernbuffet mit verschiedenen Angeboten etwas auszuwählen.”

  • "Das PerLenWerk - Personalisierte Lernumgebung mit Werkstätte - ist eine neue Art zu Lernen und Schule zu erleben. Diese neue Lernkultur fördert Lernpartner*innen in ihrer Selbstständigkeit, stärkt ihre Kompetenzen und bereitet sie gut auf ihre weitere Schul- und Berufslaufbahn vor."

  • "Lehrkräfte verstehen ihre Arbeit bei uns als „Schatzsucher“ und nicht als „Defizitjäger“: Heterogenität annehmen, Individualität fördern und Talente (heraus-)fordern."

(Quelle: https://scobees.com/, Stand 17.02.2022)


 

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